Rewilding der Trend im großen Test

Fitness-, Food- und Wellness-Experten sind sich einig: Von unseren Vorfahren, die noch als Jäger und Sammler lebten, können wir so einiges lernen. Das Ganze hat auch einen Namen: Rewilding. Wir haben diesen Trend unter die Lupe genommen – und ausprobiert.

Jemanden zu umarmen, den man noch nie im Leben getroffen hat, fühlt sich merkwürdig an, und das nicht erst seit Social Distancing. Dennoch begrüßt mich Tony , bekannt als „The Natural Life-Stylist„, mit offenen Armen. Vor dem Highgate Men’s Pond, einem der beliebtesten Badeseen in London, glitzert die aufgehende Sonne orange auf dem frostbedeckten Gras. Seine Körperwärme kommt mir also an diesem kühlen Aprilmorgen gelegen.

Mit Blick auf das, was mir bevorsteht, würde ich am liebsten noch ein bisschen in ihr verweilen. Eisbäder und Kryotherapie sind mir zwar nicht fremd, trotzdem sträubt sich mein Körper bei dem Gedanken an unser Vorhaben. Nur allzu gerne würde ich auf die Seite der Spaziergänger wechseln, die uns teilweise mit irritierten, teilweise mit belustigten Blicken dabei zuschauen, wie wir auf dem kalten Boden sitzen und im Takt zu einer Meditations App ein- und ausatmen, um dadurch unser System herunterzuregulieren.

Die Kraft der Natur

Für  ihn ist das Alltag. Er versucht, sein Leben bestmöglich an die Natur anzupassen das Leben im einklang mit der Natur zu führen und dazu auch andere Menschen zu animieren. Deswegen steht er nun mit derselben Seelenruhe, mit der er im Jahr 2019 in 30 Tagen quer durch Großbritannien lief, um Geld für grüne Zwecke zu sammeln (das Ganze wohlgemerkt barfuß), hier vor mir am Ufer und weist mich an, die Leiter hinabzusteigen.

Bis zum Hals stecke ich in dem eiskalten Wasser und unterdrücke meine Atemzüge, indem ich dabei dem Muster folge, das wir eben noch an Land geübt hatten. Warum? Um die unverhältnismäßige Reaktion meines Körpers auf eine vermeintliche Bedrohung zu regulieren, die sich nach einem ersten Schock als gar nicht mehr so arg herausstellt. 

Spricht dabei von einem „micro-hit of adversity“. Und in der Tat wehrt sich mein Körper nach zunächst heftiger Ablehnung schon bald nicht mehr so vehement gegen die neue Situation. Trotzdem freue ich mich, wieder am Ufer zu stehen und nun die warmen Sonnenstrahlen, die sich inzwischen über die frostbedeckte Wieseerstrecken, in vollen Zügen genießen zu können. Die Natur rings um mich herum, die mir vor wenigen Minuten noch feindlich erschien, zaubert mir nunmehr ein breites Lächeln in das Gesicht. Endorphine schwirren mir im Kopf herum.

Neben seiner Tätigkeit als Natural Life Stylist bezeichnet Tony  sich gern auch als Human Rewilding-Coach. Eine Wortwahl, die Stirnrunzeln auslöst. Der Begriff Rewilding – zu Deutsch etwa: Renaturierung – kam bereits in den 1980er-Jahren in den USA auf und fand 2013 mit dem Buch „Verwildert“ (Matthes & Seitz, um 28 Euro) des Journalisten und Umweltschützers George Monbiot seinen Weg zurück ins Rampenlicht. Es gibt verschiedene Ansätze, aber kurz gesagt ist mit Rewilding eine Form des Umweltschutzes gemeint, der die Natur sich selbst überlässt, um beschädigte Ökosysteme zu reparieren.

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Aber nicht nur die Natur profitiert davon, auch uns Menschen verschafft das System des Rewilding erhebliche Vorteile. Die meisten können nicht verstehen, warum man sich so weitgehend der Natur überlassen möchte, weil das Leben im wirtschaftlichen Wohlstand äußerst bequem ist. Dabei ist es in Wahrheit doch die Natur, die uns gesund hält. Das, wovon er überzeugt ist, weiß man auch in der Medizin: Nicht umsonst wird von Ärzten häufig “Zeit in der Natur” als eine ergänzende Therapie verschrieben. Dort heilt der Körper schneller, die Menschen erstarken und sind weniger gestresst als in der Stadt.

Der Ursprung der Dinge

Doch was bedeutet Human Rewilding denn nun genau? Wenn  den Begriff verwendet, meint er damit, Lebensweisen zu finden, die mehr im Einklang mit der menschlichen Biologie stehen oder auch ganz einfach Leben im einklang mit der Natur. Diesen Gedanken unterstreicht auch Joseph, der als außerordentlicher Professor an der zum Georgia Institute of Technology gehörenden School of Biological Sciences Ahnenforschung betreibt. Im Gegensatz zu der natürlichen Auslese, die Generationen braucht, um sich von ungünstigen genetischen Merkmalen zu trennen, sind die kleinen Veränderungen, die wir an unserem heutigen Lebensstil voll ziehen, für den Organismus oft drastisch.

Sie haben zur Folge, dass es zwischen unseren Genomen und der modernen Umwelt zu Fehlanpassungen kommt. Zur Lebensform der Jäger und Sammler zurückzukehren, erscheint mir mit diesem Hintergrundwissen irgendwie sinnvoll. Dabei lässt die Ausbreitung unserer Spezies eigentlich darauf schließen, dass es uns ganz gut geht. Vielleicht ist die Ablehnung von Moderne und Fortschritt einfach auch mehr eine Art Hobby als eine Notwendigkeit, denke ich mir.

Was auch immer es sein mag, es hat das Rewilding auf jeden Fall zu einem Trend gemacht. Ob Teenager oder Pensionär, ob Milliardär oder Studierende,  coacht sie alle. Und wieso ist sein Unterricht so beliebt? Weil die Veränderungen des Lebensstils, die er lehrt, gering sind und Schritt für Schritt funktionieren – selbst im stressigsten Großstadtdschungel.

Das Leben wie früher

Nach unserem Ausflug zum Badesee besuche ich Tony  zu Hause und bekomme einen direkten Eindruck davon, wie das mit dem Rewilding auch in der Stadt funktionieren kann. Wir können nicht alle in der Natur leben. Aber das bedeutet nicht, dass wir nicht alle natürlich leben können. An seiner Wohnung erkenne ich den Leitsatz wieder. Mit seiner Frau Katarina und den gemeinsamen Kindern lebt er zwar nicht weit von mehreren Gewässern und Wäldern entfernt, trotzdem findet sein Leben in erster Linie in diesen 4 Wänden statt, die er sich deshalb so natürlich wie möglich gestaltet hat um zu leben und arbeiten wie in der Natur.

In der Küchentür hat der Mann sich eine Klimmzugstange eingespannt, die er regelmäßig zum Abhängen nutzt. Das ist eine wichtige und natürliche Position für Schultern und Rücken. Alle Räume sind voller Zimmerpflanzen, um die Luft auf natürliche Art zu reinigen. Die bernsteinfarbene Beleuchtung wird automatisch gesteuert, sodass sie die biologische Uhr nicht stört. Stühle entdecke ich nicht, nur Kissen, die einen Esstisch umsäumen, dessen Beine auf 36 Zentimeter gekürzt worden sind. Auch meine Suche nach Betten bleibt erfolglos. Wo ich auch hinsehe, stoße ich auf s Engagement für eine natürliche Lebensweise.

Aber nicht nur in seiner Umgebung, auch in s Aktivitäten spiegelt sich sein Credo “Zurück zur Natur” wider. Er bezeichnet sich selbst als Bewegungsopportunist und meint damit, dass er keine Chance auslässt, seinen Körper herauszufordern. Während der Arbeit sitzt er gerne auf dem Fußboden. So bewegt man sich automatisch mehr, weil das lange Verharren in einer Position schneller unbequem wird.

Ins Büro läuft er, oder er verbringt die U-Bahn-Fahrt dorthin stehend oder in der Hocke. Und auch im Büro lässt er keine Möglichkeit aus, in Bewegung zu kommen – da wird der Stuhl schnell mal zum Tisch umfunktioniert, durch den langen Flur gelaufen oder schnell zum Park spaziert. Es ist nicht natürlich, den Tag überwiegend im Sitzen zu verbringen und sich dafür dann einen Ausgleich schaffen zu müssen. Bewegung sollte stets in den Alltag integriert sein.

Die Last des Fortschritts

Als ich begann, Bewegung mehr und mehr zu verstehen, wurde mir klar, dass die Art und Weise, wie unsere Umgebung eingerichtet ist, das größte Hindernis für sie darstellt. Während Bewegung für unsere Vorfahren fester Bestandteil ihres Alltags war, ist sie durch den menschlichen Fortschritt zur zusätzlichen Aufgabe geworden. Und für diese Aufgabe nehmen wir uns selten genug Zeit.

Bewegung liegt in deiner DNA daher: Vielleicht ist der einzige Weg aus unserer schlechten körperlichen Verfassung, die durch unsere Kultur der Bequemlichkeit hervorgerufen wurde, eine Rückkehr zu den Verhaltensweisen unserer Vorfahren.

Sie möchte Segnungen des Fortschritts nicht aus ihrem Leben streichen, sondern viel mehr effiziente Verhaltensweisen unserer Vorfahren dazu holen. Und das gelingt in Form von Nutritious Movement: die Bewegung dort einbauen, wo sie aus Bequemlichkeit verdrängt worden ist. Also öfter mal die Einkaufstüten nach Hause schleppen, statt sie zu fahren, oder die Kinder tragen, statt sie im Kinderwagen zu schieben.

Das Innere Kind

Ein paar Wochen nach meinem Besuch in London bin ich einer von 100 Teilnehmern eines Move Breathe Chill-Workshops, den Tony mitveranstaltet. Wie der Name schon vermuten lässt, beinhaltet das Seminar Bewegungsübungen (oder genauer gesagt: die Nachahmung von uralten menschlichen Bewegungsmustern) sowie Atemübungen und Relaxen in Eisbädern. Was der Titel dagegen nicht vermuten lässt: Auch die Technik des Rechilding (zu Deutsch etwa: die Erneuerung des inneren Kindes) wird hier geübt.

Ähnlich wie beim Rewilding führt die Technik zurück zu etwas eigentlich Natürlichem, das im Lauf der Zeit verlernt worden ist, es geht also darum das innere Kind zu aktivieren. Wir bewegen uns dazu in verschiedene Richtungen und mit unkonventionellen Gangarten durch den Raum. Wenn wir mit jemandem Blickkontakt aufnehmen, müssen wir diese Person anlächeln oder umarmen. In Paaren legen wir unsere Stirnen aneinander und spiegeln im Wechsel die Bewegungen des anderen.

Wir fallen um, als wären wir betrunken, sodass der andere uns stützen muss. Erst fühlt sich das albern an, und von außen betrachtet wirkt das Ganze womöglich sogar wie eine Art seltsamer Sex Kult. Mit zunehmender Übung frage ich mich jedoch: Sollte diese Art von Berührung nicht eigentlich normal sein? Sollte sie sich nicht natürlich anfühlen? Die erste Abschreckung bestätigt mir im Rückblick, dass  und Bowman Recht haben, wenn sie sagen: Wir sind unnatürlich weit von einem natürlichen Leben entfernt – nicht nur, was unsere Bewegungsmuster angeht. Vor allem mangelt es uns an menschlichem Kontakt, und das nicht erst seit Corona.

Die Pandemie hat die bereits vorhandenen Effekte der Isolation lediglich verstärkt und den Hunger nach Berührung, den die Londoner Goldsmiths University der modernen Gesellschaft diagnostiziert hatte, in eine Hungersnot verwandelt. Das wird mir auf dem Heimweg klar, als ich mich weg von (hoffentlich negativ getesteten) Menschen in die U-Bahn begebe, wo ich, mit einer Maske über Mund und Nase, zwischen andere und mich so viel Distanz bringe wie nur möglich.

Der Feind des Menschen

Über manche Praktiken der Vorfahren kann man sicher streiten. Allerdings sind Natur, Bewegung und menschlicher Kontakt Dinge, von denen wir Menschen instinktiv wissen, dass sie gut für uns sind. Das fühle ich besonders hier, in der engen U-Bahn. Wenn wir bei schönem Wetter in den Park gehen, schauen wir uns die Vögel und Bäume an, seufzen vor Zufriedenheit und wünschen uns, öfter dort zu sein. Dieser Wunsch ist gar nicht so unerfüllbar, habe ich aus meinen Erfahrungen mit  gelernt.

Wir müssen uns nur darüber klar werden, dass unsere Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen, überwiegend bewegungs- und naturfeindlich sind, dass aber viele kleine Veränderungen zu großen Verbesserungen führen. Einfach mal draußen Mittag essen oder zur Arbeit laufen – gar nicht so schwer. Man muss nicht unbedingt auf dem Boden schlafen oder mit fremden Menschen Stirn an Stirn tanzen, um natürlicher zu leben. Viele kleine Schritte bringen uns auch voran, denke ich mir so- und verlasse deswegen an der nächsten Haltestelle kurzer hand die U-Bahn, um den Rest des Weges durch die Natur nach Hause zu spazieren.

Rewilding natürlich oder irre?

Boden anstatt Bett

Er meidet Betten, er schläft lieber auf dem Boden. Das britische Fachmagazin The BMJ zitiert eine Studie, die nachweisen konnte, dass tatsächlich weniger muskuloskelettale Leiden. unter den Angehörigen von Kulturen auftreten, die daran gewöhnt sind, auf dem Boden zu schlafen.

Berührungen senken Herzfrequenz

Viele Studien bestätigen den Zusammenhang von engen sozialen Kontakten und guter Gesundheit. Neben der Freisetzung des bindungsfördernden Stoffes Oxytocin sorgt das Gefühl von Haut auf Haut dafür, dass Herzfrequenz und Blutdruck sinken.

Gesunde Zimmerpflanzen

Hält man die Pflanzen am Leben, revanchieren sie sich. Die Clean Air-Studie der NASA berichtet von Zimmerpflanzen, die etwa Ammoniak, Formaldehyd, Benzol und Xylol aus der Raumluft entfernen können. Zudem fördern Pflanzen auch die Produktivität.

Wirbelsäule dekomprimieren

Dies soll die Wirbelsäule dekomprimieren. Zudem fühle man sich auf diese Weise seinen auf Bäume kletternden Vorfahren näher. Jedoch trennen den Menschen 2 Millionen Jahre anatomischer Veränderung von dieser Fähigkeit. Muss also nicht sein.

Hockhilfe auf dem Klo

US-Forscher testeten Geräte zur Veränderung der Defäkationshaltung, Squatty Pottys genannt, und baten Assistenzärzte darum, ihr Geschäft darauf zu verrichten. Fast alle berichteten von weniger Anstrengung auf dem Klo, wenn sie beim Stuhlgang eine solche Hockhilfe nutzten.

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Marina Christophhttps://beautymadel.de
Auf Beautymadel möchte ich mich als Mutter und Hausfrau verwirklichen. Ich betreibe Beautymadel seit 2021 und schreibe Beiträge zum Themen wie Gesundheit, Ernährung, Beauty, Nachhaltigkeit und Wohlbefinden.

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